„Wie komme ich am schnellsten in die Sowjetunion?“, fragte ein Mann im Reisebüro.
aus Tarantel-Heft Nr. 26 vom November 1952
„Ach“, meinte der Angestellte, „das ist ganz einfach. Erzählen Sie einem SSD-Mann einen Witz aus der >>Tarantel<<.“
Geschichte der „Tarantel“ (kurzer Lehrgang)
Die erste Ausgabe der Satire-Zeitschrift Tarantel erschien 1950 in Westberlin, gerade als der „Kalte Krieg“ seinen ersten Höhepunkt erreichte.
Der Ostberliner Journalist Heinz W. Wenzel war ihr Gründer und erster Chefredakteur. Während seiner Tätigkeit als Redakteur des sowjetischen Nachrichtenbüros beantragte er 1946 beim französischen Presseamt in West-Berlin die Lizenz für eine Satirezeitschrift. Das veranlasste die Sowjetmacht, ihn zu verhaften und ohne Urteil in den berüchtigten Speziallagern Hohenschönhausen und Sachsenhausen einzukerkern. Nach seiner Entlassung gründete er mit der Unterstützung amerikanischer Freunde zusammen mit Leidensgenossen und Satirikern aus ganz Deutschland die Tarantel.
Die Tarantel war stets voller Kritik am System, an der sowjetischen Übermacht und an der Versorgungslage. Aus der Sicht des Staatsapparates war die Redaktion eine staatsfeindliche „Spionagezentrale“, die „Hetzmaterialien“ verbreitete. Besitz und Vertrieb der Tarantelwurde in der DDR deshalb streng bestraft; wegen „Boykotthetze“ wurden hohe Haftstrafen verhängt.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen hieß es mit hintergründigem Humor in jeder Ausgabe: „Preis: unbezahlbar“.
Zielgruppe dieses Monatsblattes waren die so genannten kleinen Leute, aber auch die kritische Intelligenz. Die Hefte wurden in Briefumschläge mit gefälschten Absenderaufdrucken von DDR Ministerien eingetütet und in Ostdeutsche Briefkästen eingeworfen. Die Briefmarken waren ebenfalls gefälscht und trugen manchmal den Aufdruck „Undeutsche undemokratische Diktatur“. Wobei die Tarantel – wenn es etwa um die NATO-Mitgliedschaft der BRD ging – auch in Richtung Westen austeilte.
Zu den Karikaturisten, die an der Tarantel mitarbeiteten, gehörten später im Westen prominent gewordene Zeichner wie der spätere „Titanic“-Mitbegründer Chlodwig Poth, der spätere „Weltwoche“-Karikaturist Fritz Behrendt und Hans Bierbrauer, der als Schnellzeichner ‚Oskar’ in Hans Rosenthals Fernsehshow Dalli Dalli berühmt werden sollte. Trotz dieser prominenten Mitarbeiter ist die Tarantel in der heutigen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt: im Osten war sie verboten, also sprach man nicht über sie, im Westen interessierte man sich nicht für sie.
Neben 124 Monatsausgaben mit einer Auflage von durchschnittlich 270.000 Exemplaren erschienen auch zahlreiche Sonderausgaben. Das kostenlos verteilte vierfarbige Satiremagazin war in der DDR äußerst begehrt. In West Berlin gedruckt wurde es im West-Ost-Passantenverkehr und auf dem Postweg in den Osten geschmuggelt.
Mit zunehmenden Grenzabsperrungen und Kontrollen wurde ein Teil der Auflage sogar mit Ballons über die Sperranlagen befördert. Mit dem Bau der Berliner Mauer brach das Transportsystem zusammen, so dass danach nur noch drei Ausgaben erschienen und das Magazin eingestellt werden musste.
Auch bei den Organen der Staatssicherheit war das Interesse sehr groß, wohl nicht nur aus dienstlichen Gründen. Den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit ist zu entnehmen, dass von 87 in Neubrandenburg beschlagnahmten Exemplaren 45 auf dem Dienstweg nach Ostberlin verschwanden und die restlichen Exemplare „stark zerlesen“ waren.